Mehr als nur ein Blues

Mehr als nur ein Blues

Jede 6. Frau leidet nach der Geburt eines Kindes unter einer Wochenbettdepression. Und wenn man bedenkt, dass sich viele Frauen auch noch schämen, über negative Gefühle dem Baby, dem Partner oder sich selbst gegenüber zu sprechen, dann sind es vermutlich noch einige Frauen mehr. Was ist eine Wochenbettdepression, wie unterscheidet sie sich vom Baby Blues und woran kannst du sie erkennen? Wir haben das wichtigste für dich zusammengefasst.

Baby Blues

Viel häufiger als frau denkt, kommt es in den Tagen nach der Geburt zu einem (meist unerklärlichen) Gefühl der Traurigkeit. Bis zu 80% der frischgebackenen Mütter geben an, dass sie vermehrt weinen mussten und gar nicht wussten, warum eigentlich. Die Gründe dafür sind vielfältig. Allerdings spricht der Umstand, dass dieses Phänomen kulturUNabhängig auftritt für die Annahme, dass die Umstellung der Hormone (besonders der abrupte Abfall des Östrogenspiegels) nach der Schwangerschaft, eine große Rolle spielen. Östrogen hat eine stimmungsstabilisierende Wirkung, der plötzliche Verlust könnte als mit Stimmungsschwankungen einhergehen.

Psychische Gründe für die Traurigkeit können das Erleben der ersten großen Trennung vom Kind – nach monatelanger Symbiose im Mutterleib – sein. Das kann eine Mama unerwartet treffen und wehmütig oder ängstlich machen. Häufig beschreiben Mütter, die einen Baby Blues erleben, auch den Geburtsprozess als „vom Geplanten abweichend“, „unerwartet“ oder „sehr fremdbestimmt.“ Die Aufarbeitung einer Geburt, die nicht wie erwartet lief – das Versöhnen mit dem Geburtserlebnis – kann dann sehr hilfreich sein.

Der Baby Blues ist dadurch gekennzeichnet, dass er in der ersten Woche, maximal 14 Tage, nach der Geburt auftritt und mit Niedergeschlagenheit, Erschöpfung, Traurigkeit und (heftigem) Weinen einhergeht. Er ist eine sehr häufige aber leichte Form einer depressiven Verstimmung. Eine Behandlung ist nicht notwendig, denn nach dieser Zeit stabilisiert sich die Stimmung in der Regel von alleine wieder.

Wochenbettdepression

Bleibt diese Stimmungsstabilisierung aus oder verschlechtert sich sogar noch, ist es möglich, dass der Baby Blues in eine postpartale Depression übergeht. Aber auch unabhängig vom Baby Blues kann zu einem späteren Zeitpunkt der Mutterschaft (laut aktuellen Studien in den ersten drei Jahren nach Geburt eines Kindes) eine solche Depression entwickelt werden.

Die postpartale Depression (vom lat. postpartum: nach der Entbindung), unterscheidet sich in den Symptomen wenig von der klassischen Depression. Ihr Beginn ist schleichend, wodurch sie meist unterschätzt wird. Aufgrund von Schuld- und Schamgefühlen, aber auch aus der Angst davor, abgestempelt zu werden, verschweigen Mütter oftmals die Symptomatik und bleiben lange Zeit unbehandelt. Das ist, neben der depressiven Erkrankung an und für sich, problematisch, weil eine über längere Zeit unbehandelte Depression besonderes schwere potentielle Folgen mit sich bringen kann. Durch den Rückzug der Mutter und die emotionale Nicht-Verfügbarkeit kann die Bindungsbeziehung gestört werden. Auch Auswirkungen auf die emotionale und kognitive Entwicklung sind möglich.


Woran erkennst du sie?

Die Symptome einer (postpartalen) Depression haben wir dir nachfolgend aufgelistet. Wichtig zu wissen ist dabei, dass man erst von der Diagnose „Depression“ spricht, wenn mehrere dieser Symptome über einen längeren Zeitraum bestehen, mindestens zwei Wochen. Anita Riecher-Rössler hat in ihren Untersuchungen bestimmte Besonderheiten der Wochenbettdepression gegenüber anderen Depressionen herausgearbeitet. Unter anderem weisen die Frauen eine ausgeprägte emotionale Labilität auf und die Inhalte des depressiven Grübelns und der Schuldgefühle beziehen sich häufig auf das Kind und die Mutterschaft. Eine weitere Besonderheit ist der Teufelskreis aus einem Gefühl der Gefühllosigkeit gegenüber dem Baby und der Scham eben darüber.

Symptome

  • Depressive Verstimmung/Traurigkeit
  • Antriebsmangel und Energieverlust
  • Freudlosigkeit und Interessenverlust
  • Müdigkeit, Erschöpfung
  • Schlaf- und Appetitstörungen
  • Konzentrationsstörungen
  • Ängste, Sorgen, Grübeln
  • Schuldgefühle
  • Emotionale Labilität

Für die Wochenbettdepression im Speziellen wurde ein Screening-Verfahren entwickelt, das ist ein kurzer Fragebogen, der mit wenig Aufwand ermittelt, ob der Verdacht auf eine postpartale Depression besteht oder nicht. Dieses Verfahren ist die Edinburgh-Postnatal-Depression-Scale (kurz EPDS). Der Verein Postpartale Depression Schweiz stellt ihn als Online Selbsttest direkt zum Ausfüllen zur Verfügung, er ist aber auch als Download auf vielen anderen Seiten in vielen Sprachen zu finden.


Kann frau vorbeugen?

Generell gilt: es handelt sich um eine psychische Erkrankung, als Betroffene trifft dich keine Schuld für ihr Auftreten. Krankheiten der Seele sind multifaktoriell begründet, das heißt es gibt eine Vielzahl an kleineren und größeren Ursachen dafür. Nichtsdestotrotz gibt es ein paar Faktoren, die das Risiko erhöhen. Besonders gefährdet für die Entstehung einer Wochenbettdepression sind Frauen, die im Verlauf ihres Lebens bereits psychisch erkrankt waren oder traumatische Erlebnisse hatten. Sie können seelisch verletzlicher sein und durch die Umstellung „Geburt & Mutterschaft“ mehr aus der Balance geraten. Hier ist es wichtig, offen und bewusst mit diesem Thema umzugehen, die betreuenden Fachpersonen (Gynäkologinnen, Hebammen usw.) über die Vorgeschichte zu informieren und sich prophylaktisch Unterstützung zu suchen. Es kann sinnvoll sein, eine derzeit ruhende Therapie wieder aufzunehmen und als begleitenden Maßnahme in Anspruch zu nehmen. In schweren Fällen kann auch eine prophylaktische Behandlung mit antidepressiven Medikamenten in Betracht gezogen werden, dies ist jedoch immer mit dem/der behandelnden Psychiater/in zu besprechen.

Eine realistische Vorbereitung auf die Geburt, abseits von romantischen Vorstellungen und überhöhten Erwartungen, ist ebenfalls hilfreich. Besonders die Auseinandersetzung mit einem möglichen Kaiserschnitt. Immerhin ist heute jede dritte Geburt eine „Bauchgeburt“ – eine geplante oder ungeplante Sectio.

Gleiches gilt auch fürs Wochenbett und die Elternschaft: keine idealisierten Vorstellungen sondern praktische Hilfen und viel Entlastung sind hier die Devise.

Was hilft?

Erfahrungsgemäß hilft bereits die Aufklärung rund um die postpartale Depression die Schuld- und Schamgefühle zu reduzieren. Das kann in Gesprächen mit der Hebamme, dem Gynäkologen oder der Gynäkologin oder auch einer Selbsthilfegruppe sein. Wir raten ebenfalls zu einer gesundheitlichen Untersuchung, um körperliche Ursachen auszuschließen. Darüber hinaus ist sicherlich die Psychotherapie das Mittel der Wahl, je nach Schwere der Symptomatik mit oder ohne medikamentöse Behandlung. Auf unserer Hilfeseite findest du weitere Infos und Anlaufstellen.

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