"Das Institut für gute Mütter"– Eine Dystopie, die den Atem stocken lässt

"Das Institut für gute Mütter"– Eine Dystopie, die  den Atem stocken lässt

Mit „Das Institut für gute Mütter“ hat Jessamine Chan einen Roman über Mutterschaft geschrieben, der weh tut. Auf mehreren Ebenen. Eine Dystopie, die die unrealistischen Ansprüche an Mütter auf die Spitze treibt. Und die bei den Leser*innen ein ähnliches Gefühlschaos auslösen dürfte, wie bei der Protagonistin Frida.

„Eine gute Mutter kann alles!“

Jessamine Chan: Das Institut für gute Mütter, S.172

Achtung

Der Roman enthält gefühlt jeden Trigger, den man sich vorstellen kann und ist keine leichte Kost. Lies diese Rezension und das Buch nur, wenn du dich stabil genug fühlst.

Ein schlechter Tag

Frida ist überfordert in ihrer Rolle als Mutter, überfordert, mit der geforderten Vereinbarkeit von Beruf und Familie, müde, erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. Ohne darüber nachzudenken, lässt sie ihre achtzehn Monate alte Tochter Harriet eines Tages, sie nennt ihn ihren „schlechten Tag“, für mehrere Stunden allein zu Hause. Ein Nachbar verständigt die Polizei und dann beginnt Fridas Albtraum erst recht: Sie verliert vorübergehend das Sorgerecht und rutsch in ein neues Rehabilitierungsprogramm für „schlechte“ Mütter. Unter strenger Aufsicht und mithilfe von Psychoterror soll sie mit einer KI-Puppe das Muttersein von Grund auf neu lernen.

Die Umarmung sollte nicht länger als drei Sekunden dauern. Sollte das Kind verletzt sein oder ein verbales, emotionales oder physishces Strauma erlitten haben, sind auch fünf bis sechs Sekunden zulässig. In Extremsituationen bis zu zehn. Alles, was darüber hinausgeht, behindert das aufkeimende Unabhängigkeitsstreben des Kindes.

Jessamine Chan: Das Institut für gute Mütter, S.113

Schmerzhafte Lektüre

Die Lektüre war für mich nicht einfach. Fridas Weg mitzuverfolgen, ein System zu sehen, das Müttern ihre Rechte abspricht und unmenschliche Ansprüche an sie stellt, hat wehgetan. Auch, weil es so unrealistisch gar nicht anmutet. Die Autorin geht mit der Gesellschaft, die sie für den Roman schafft, einfach nur noch ein kleines Stückchen weiter. Das System wird ein kleines bisschen übergriffiger und gnadenloser.

Kleinste Fehltritte von Müttern werden im Amerika des Romans auf eine Stufe gestellt mit Kindsmisshandlungen – und unweigerlich drängt sich die Frage auf, wo die Grenze zu ziehen ist, die immer eine aktuelle und moralische ist, die Leben zerstören kann und die selbst beim Lesen Bauchschmerzen bereitet.

Eine Mutter sollte keine Fragen stellen müssen. Eine Mutter sollte die Antwort intuitiv kennen. Einfach Bescheid wissen.

Jessamine Chan: Das Institut für gute Mütter, S.117

Der wahre Kern: Ansprüche an „gute“ Mütter

Was die Dystopie für mich so brisant macht ist ihr thematischer Kern, die Kritik daran, welch hohes Maß bei Müttern angelegt wird, wie sehr perfektionistische Ansprüche Mütter nicht nur verzweifeln lassen, sondern sie vielleicht auch zu Täterinnen machen – und gleichzeitig zu Opfern dieses Systems.

Mir fällt es schwer, meine Gefühle bei der Lektüre auf den Punkt zu bringen. In jedem Fall hat mich das Buch aufgewühlt, gefesselt und nachhaltig beschäftigt. Wer sich die Lektüre zutraut, wird belohnt werden.

Wenn sie ruhig bleiben, vermitteln sie ihrem Kind, dass eine Mutter mit allem fertigwird. Sich nie aus der Ruhe bringen lässt. Dass eine Mutter stets liebevoll ist. Immer alles gibt. Dass eine Mutter nie die Nerven verliert und ein Puffer zwischen ihrem Kind und der grausamen Welt ist.

Jessamine Chan: Das Institut für gute Mütter, S.119

Jessamine Chan
Institut für gute Mütter
Ullstein, März 2023
423 Seiten
ISBN: 978-3550201332
22,99 € [D]

Vielen Dank an den Ullstein Verlag für das Rezensionsexemplar.


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