"Die Wut, die bleibt" von Mareike Fallwickl

"Die Wut, die bleibt" von Mareike Fallwickl

Ein Buch, das lange nachhallt

Was ein kraftvolles Buch! „Die Wut die bleibt“ von Mareike Fallwickel knallt von der ersten Seite an, auf der Helene, Mutter dreier Kinder, wortlos vom Esstisch aufsteht und vom Balkon springt. Der Start ist heftig, die Themen bleiben es. Und ziehen einen als Leser*in gepaart mit der starken Sprache der Autorin in den Bann.

„ (…) stückweise, in Krümeln, presst sich die Wut nach oben, sie ist kompakt und zusammengeballt, weil sie so oft, so oft, zu oft unterdrückt wurde, (…)“

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt, S. 343

Wir begleiten zwei Frauen aus Helenes Leben durch ihre Trauer: Ihre beste Freundin Sarah und ihre Tochter Lola, die so verschieden sind, immer wieder aneinandergeraten, aber auch immer wieder zueinander finden. Jede verarbeitet diesen Schicksalsschlag auf ihre Weise, gleichzeitig stehen die beiden exemplarisch für alle Frauen, die unterdrückt werden, und ihren Weg suchen, sich dagegen zu wehren. Lola gelingt das früher als Sarah, schonungsloser, wütender. Ich als Leserin habe mich irgendwo dazwischen wiedergefunden.

Ein Roman über Wut – und so viel mehr

 „Die Wut, die bleibt“ ist ein feministischer Roman. Ein Roman über Trauer. Ein Gesellschaftsroman. Und ein Roman über Mutterschaft.

Indem Sarah nach und nach Helenes Rolle übernimmt, durchlebt sie im Schnelldurchgang das Gefühlschaos, das Mutterschaft bedeuten kann:  Den Wechsel wischen unendlicher Liebe und großer Traurigkeit, die Verzweiflung, in die einen die Fremdbestimmung stürzen kann, die Erfahrung, wie körperlich es sein kann, für kleine Kinder sorgen zu müssen, die Erschöpfung, die Müdigkeit, die Hilflosigkeit und, natürlich, die Wut: auf die Kinder, auf den Mann, auf das System. Sie versteht nach und nach, was Helene dazu gebracht hat, mit all dem Schluss zu machen.

„Sie muss die Arme um sich schlingen, sich selbst umarmen, um zu spüren, dass sie eine Grenze hat, eine fühlbare Körpergrenze, die niemand überschreiten darf. (…) Die Berührungsbedürftigkeit der Kinder hat etwas verstörend Invasives und ist gleichzeitig so entwaffnend, dass man sich ihr nicht verweigern kann.“

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt, S. 105

Fallwickels Buch hat mich lange beschäftigt und tut es noch. Einige Aspekte haben mir wahnsinnig gut gefallen:

  • Eben jener Schnelldurchlauf und die Idee, Mutterschaft nicht durch die Brille der Mutter sichtbar zu machen, sondern durch ihre Angehörigen.
  • Die Art und Weise, wie Trauer thematisiert wird, die das Rohe, das Unmittelbare, das oft Unverständliche nicht ausspart.
  • Die Selbstverständlichkeit und die Dringlichkeit, mit der Pandemie in der Literatur eine Rolle spielen kann, darf und muss.
  • Die plastische und mutige Darstellung dessen, was es bedeutet, eine Frau zu sein und einen Körper zu haben, der permanent bewertet wird.
  • Die Tatsache, dass ich mich mit meinem eigenen Feminismus noch einmal aus ganz neuen Perspektiven auseinandergesetzt habe.

Bin ich, wie Sarah und Helene, Teil einer Generation, die zu wenig radikal ist? Zu wenig kämpft? Ich kann Lolas Wut so nachvollziehen, ihre Konsequenz aber überhaupt nicht. Kann ich von den jungen Frauen lernen? Bin ich bereit dazu?

Zwischen Fiktion und Realität

Genau mit dieser Konsequenz hatte ich auch Probleme. Achtung, Spoiler: Mit der Darstellung von Gewalt im Roman. Das war mit teils zu heftig, weil es mir so realistisch schien. Weil ich unweigerlich die fiktive Erzählung als Handlungsanweisung gelesen habe.

„Inzwischen wundert sich Lola nur noch über eines. Wieso sich nicht mehr junge Menschen radikalisieren.“

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt, S. 371

Was natürlich nicht gerechtfertigt ist. Sicherlich mahnt der Text an, die Wut nicht zu unterdrücken, zu kämpfen, etwas zu ändern. Dass Lolas Weg der richtige ist, sagt niemand. Aber: er ist ein möglicher. Und das hat mir ganz schön Angst gemacht zwischendrin.

Etwas ratlos zurückgelassen hat mich die letzte Seite. Wo Mutterschaft vorher für mich so treffend beschrieben war, wurde hier ein Klischee bedient, mit dem ich aus meiner Geschichte heraus wenig anfangen kann. Ich hoffe, dass genau dieser Bruch beabsichtigt war, dass man – wie Helene, Sarah und Lola – jetzt erkennt, dass es so einfach und so rosarot eben nicht ist.

Fazit

Absolute Leseempfehlung mit der Einschränkung, dass hier wahnsinnig viel Potenzial für Trigger vorhanden ist. (Siehe Warnung zu Beginn des Textes.)

„Dies ist ein intensiver und emotional herausfordernder Roman, der aufwühlende Fragen stellt und vor dem Hintergrund einer Pandemie spielt, die uns alle an die Grenzen der Belastbarkeit bringt.“

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt, S. 379

Wenn es dir gerade akut schlecht geht, hebe dir das Buch vielleicht ein bisschen auf. Oder leg es zumindest beiseite, wenn du merkst, dass es dir nicht gut damit geht. Die Autorin nennt am Ende des Buches Telefonnummern und Websiten, die weiterhelfen. Du findest solche auch auf unserer Hilfe-Seite.

„Keiner von uns ist es angeboren, es gibt kein geheimes Wissen, das uns zu Müttern macht, keinen Genvorteil. Aber jeder erwartet von uns, dass wir ab der Sekunde der Geburt nie einen Fehler im Umgang mit einem Kind machen, weil wir angeblich eine Instinkt dafür haben.“

Mareike Fallwickl: Die Wut, die bleibt, S. 102f

Danke an den rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar.

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