Ein Buch, das Kindern und ihren Eltern eine Stimme gibt
Die Corona-Pandemie hat etwas sichtbar gemacht, was Nathalie Klüver sich nun in einem ganzen Buch genauer anschaut: Wie familien- und kinderfeindlich die Strukturen in unserem Land oft sind. Was hat das mit unserem Thema, der Mutterschaft, zu tun? Eine ganze Menge, wie ich bei der Lektüre gelernt habe. Weil zum Beispiel ein ganzer Haufen unserer Schuldgefühle genau da ihren Ursprung haben: Wir haben immer das Gefühl, unsere Kinder wären „zu“: zu laut, zu viel, zu präsent, zu wild, zu fremd und so weiter. Die unrealistischen Erwartungen, die nicht zur Lebensrealität mit Kindern passen, machen nicht nur ihnen das Leben schwer – sondern auch uns Eltern. Wir sind ständig damit beschäftigt, Rücksicht zu nehmen, statt den Raum einzunehmen, der uns zustehen sollte.
Wenn Kinder nicht erwünscht sind
Ob im Restaurant, im Flugzeug oder im Mietswohnung: Kinder sind oft unerwünscht. Obwohl die Familienpolitik Kinder doch fördern möchte. Aber die Strukturen dafür schafft sie nicht wirklich, wie die Autorin, selbst Mutter dreier Kinder, hier sehr detailliert aufführt: Kinder sind Privatsache, weder das Steuer- und das Rentensystem sind familienfreundlich, noch der Bedarf an Kinderbetreuungsplätzen ausreichend. Es fehlen öffentliche Spielflächen und es fehlt Wohnraum für Familien.
Die Folge: Kinder, die sich fehl am Platz fühlen, und Eltern die erschöpft sind. Weil sie der Erwartung, Beruf und Kind vereinbaren zu können, gar nicht gerecht werden können. Wenn sie es versuchen, werden ihnen noch Steine in den Weg gelegt: Beförderungen werden gestrichen, Stellen anderweitig besetzt und so weiter.
Denn das ist es, was am Ende allzu oft bleibt: die bittere Erkenntnis, dass die Vereinbarkeit von beruf und Familie ein theoretisches Modell ist, das in der Praxis sozusagen an allen Ecken und Enden klappert und eiert, einfach nicht rundläuft. Und zwar vor allem für Mütter.
Nathalie Klüver: Deutschland, ein kinderfeindliches Land?
Kinder haben keine Lobby
Und dann fehlen Zeit und Kraft, um für die eigenen Interessen und die der Kinder einzutreten. Laut zu werden. Sich zu engagieren. Weil man oft einfach mit überleben beschäftigt ist.
Alle Kinder haben es verdient, dass man für sie die Stimme erhebt, auch die, deren Eltern keine Kraft, kein Geld, keine Zeit haben, sich für sie einzusetzen
Nathalie Klüver: Deutschland, ein kinderfeindliches Land?
Deutschland ist kinderfeindlich – in vielen Aspekten
Klüver hat viel recherchiert für dieses Buch, das merkt man. Mit vielen Studien und Zahlen belegt sie, wo es hakt. Von Kinderrechten über die Gestaltung des öffentlichen Raums bis hin zu Kinderarmut und Chancengleichheit arbeitet sie sich durch eine Menge Themen und mit jeder gelesenen Zeile wächst die Wut darüber, wie viel auch bei uns noch falsch läuft. Und schließt mit zehn Maßnahmenvorschlägen, die uns einen guten Schritt weiter in Richtung Kinderfreundlichkeit brächten.
Ein wichtiges Buch, dass denen eine Stimme gibt, die zu selten gehört werden.
Eine kinderfreundliche Gesellschaft ist eine frauenfreundliche und eine elternfreundliche Gesellschaft.
Nathalie Klüver: Deutschland, ein kinderfeindliches Land?
Nathalie Klüver:
Deutschland, ein kinderfeindliches Land?
Worunter Familien leiden und was sich ändern muss
Kösel, 2022
ISBN: 978-3-466-37291-1
224 Seiten, 18,00 € (D)
Nathalie Klüver war auch in unserem Podcast zu Gast.
Thanks!