Als Katharina vor einigen Tagen einen Workshop zu unserem Buch „Täglich grüßt das Schuldgefühl“ gehalten hat, kam ein Schuldgefühl immer wieder zur Sprache: Das schlechte Gewissen, weil die Zeit nicht reicht, sich so den Kindern zu widmen, wie man möchte. Mütter hadern damit, dass sie zwischen allen Anforderungen und Aufgaben am Ende des Tages, der Woche, des Monats weniger Zeit mit ihren Kindern verbracht haben, als sie wollten – oder sollten!?
Rushhour – wenn das Leben rast
Das Gefühl, dass der Tag zu wenig Stunden hat, kennen nicht nur Mütter (und Väter). Denn wir leben in einer Gesellschaft, in der vor allem Leistung zählt und Stress und Zeitdruck sogar positiv konnotiert sind. Auch in der Freizeit. Alles muss durchgetaktet und durchgeplant sein, jede Sekunde sollen wir „sinnvoll“ nutzen. Auch wenn vielleicht gerade an einigen Stellen ein Umdenken diesbezüglich stattfindet, sind wir in diesen Gedanken doch oft noch sehr gefangen.
Denn zu wenig Zeit zu haben, ist kein individuelles Problem, es ist gesellschaftlich erzeugt.
Teresa Bücker: Alle_Zeit, S.13
Und dabei geht es nicht nur um das Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, sondern es ist auch eine Tatsache, dass die Erwartungen, die man an uns richtet, nicht zu erfüllen sind, in der Zeit, die uns bleibt. Zumindest nicht, ohne dass Zeit für Erholung auf der Strecke bleibt.
Und das trifft nun wieder junge Familien besonders hart. In den 30ern und 40ern unseres Lebens kommt alles zusammen: kleine Kinder, eine Phase im Job, in der die Karriere vorangebracht werden soll und dazu noch Dinge wie Hausbau, Wohnungssuche und so weiter. Es ist ganz schön viel los und alles soll gleichzeitig passieren. Kein Wunder, dass wir abends ins Bett fallen und das Gefühl haben, nichts und niemandem gerecht geworden zu sein. Denn die Care-Arbeit mit kleinen Kindern muss eigentlich 24/7 stattfinden – während Beruf, Haushalt und der Rest des Lebens auch nicht stehen bleiben.
Wir würden uns sehr wünschen, dass es anders wäre. Und wir alle können dafür kämpfen. Aber so lange Sorgearbeit nicht zumindest genau so wie Lohnarbeit honoriert wird – und zwar finanziell wie immateriell – ist es einfach eine Tatsache, dass wir den Zeitdruck, der auf uns lastet, nur bedingt beeinflussen können. Wir sitzen – leider – aktuell alle im selben Boot.
Zu wenig Zeit für unsere Kinder?
Diese Erkenntnis kann schon helfen, das schlechte Gewissen etwas zu besänftigen. Dennoch bleibt eine gewissen Unzufriedenheit, wenn man seine Zeit nicht so nutzen kann, wie man möchte. Verständlicherweise. Ist es denn nicht furchtbar, dass wir keine Zeit (mehr) für unsere Kinder haben?
Auch hier hilft es, einen Schritt zurückzugehen, tief durchzuatmen und sich die Fakten anzuschauen. Denn die sprechen eine andere Sprache als unser Gefühl: Wir verbringen MEHR Zeit mit unseren Kindern als noch in den 60er-Jahren, hat eine Studie der Universität Kalifornien 2016 herausgefunden. Gezählt wurden Tätigkeiten wie kochen, Körperpflege, spielen, vorlesen, trösten, ins Bett bringen und so weiter. Die Mütter verdoppelten die gemeinsame Zeit von 1965 bis 2012 von 54 auf 104 Minuten am Tag, die Väter vervierfachten sie sogar von 16 auf 59 Minuten. Auch wenn, anders als früher, Mütter häufig nicht Hausfrauen sind, Kinder also längere Zeit in außerhäuslicher Betreuung verbringen, wird die verbleibende Zeit also intensiver gemeinsam genutzt. Unser Fokus hat sich verschoben.
104 Minuten klingen in deinen Ohren nicht viel? So ging es uns auch. Aber wenn du dir in Erinnerung rufst, was du sonst noch alles tun musst, ist das schon eine ganze Menge. Es hat sich also sogar einiges verbessert, nur unsere Erwartungen daran, wie viel Zeit wir mit unseren Kindern verbringen sollen, sind parallel offenbar exponentiell gestiegen. Wir denken, wir müssen und sollten mehr Zeit mit ihnen verbringen. Aber vielleicht sind wir schon auf einem sehr guten Weg! Kinder genießen es oft auch, mit uns zusammen zu sein, uns in ihrer Nähe zu wissen, aber ihr eigenes Ding zu machen. Das ist eine Frage des Temperaments und des Alters deines Kindes. Aber Fakt ist: Du musst nicht rund um die Uhr mit ihm beschäftigt sein, damit es sich bei dir sicher und geborgen fühlt.
Ich will mehr Zeit mit meinen Kindern
Wenn es dir dennoch zu wenig Zeit ist, wenn du das Gefühl hast, dich zerreißen zu müssen, und deine Kinder trotzdem zu wenig zu sehen, dann musst du also kein schlechtes Gewissen haben – bist aber dennoch traurig und unzufrieden. Sich noch mehr Zeit aus den Rippen zu schneiden ist nämlich oft genau so schmerzhaft und anstrengend, wie dieses sprachliche Bild klingt. Die Umstände machen es uns nicht leicht.
Wie immer hilft es dann, Prioritäten zu setzen: Was kann stattdessen liegen bleiben? Der Haushalt zum Beispiel. Es gibt einige Dinge, die müssen getan werden, aber andere lassen sich schieben oder sogar ganz abschaffen (bügeln, zum Beispiel).
Es ist ein großes Privileg, Zeit so nutzen zu können, wie wir es wollen. Wer sich eine Haushaltshilfe leisten kann, hat vielleicht an dieser Stelle Entlastung, wer ein hohes Einkommen hat, kann vielleicht Stunden reduzieren und so weiter. Wir können also nur im Rahmen unserer Möglichkeiten und nur bedingt etwas mehr freie Zeit mit unseren Kindern schaffen. Das ist nicht schön und wir hätten das auch gerne ganz anders. Wir wissen aber: Du musst, wie du gerade gelernt hast, keine Schuldgefühle haben, wenn dir das nicht immer gelingt. Du kannst nichts dafür.
Zum Abschluss noch ein Buchtipp für einen Ratgeber, der sich zwar darum dreht, wie man mehr Zeit für sich selbst schaffen kann, dessen Tipps aber auch helfen können, mehr gemeinsame Zeit zu finden: „Du hast jedes Recht, dich selbst glücklich zu machen.“ – Das „Eltern Zeit Buch“ von Isabell Prophet.