Hilfe, wir trennen uns

Hilfe, wir trennen uns

Hast du dich getrennt oder scheiden lassen, schämst du dich vielleicht und fühlst dich schuldig  deswegen. Und das obwohl Trennung und Scheidung heutzutage keinen Seltenheitswert mehr hat – die weltweite Scheidungsrate lag 2020 bei 36,9%, also etwas mehr als jede dritte Ehe wurde geschieden. Von außen wird dir trotzdem eingeredet, versagt, zu schnell aufgegeben oder nicht hart genug an deiner Beziehung gearbeitet zu haben. Andere schütteln den Kopf darüber, dass du so lange in dieser Beziehung geblieben bist. Was auch immer die Menschen reden, sie sehen nicht, was dieser Trennung alles vorausgegangen ist. Was du womöglich alles versucht hast, um das Ruder noch herumzureißen. Woran du gearbeitet hast und wie schwer du dir die Entscheidung gemacht hast, sofern du es warst, die sie getroffen hat. Aber ein schlechtes Gewissen ist meist nicht angebracht.

Schuldgefühle aufgrund einer Trennung

Besonders Mütter verharren den Kindern zuliebe länger in unglücklichen Beziehungen und Ehen. Es ist wahrscheinlich, dass du, um deinem Kind Schmerz und Veränderung zu ersparen, weit über deine eigenen Grenzen gegangen bist und nichts leichtfertig entschieden hast. Vielleicht ist die Entscheidung, die nun Auswirkungen auf euer aller Leben hat, auch gar nicht von dir getroffen worden. So oder so: Die Auswirkungen auf dein Kind rufen dein schlechtes Gewissen auf den Plan. Es fühlt sich für dich an, als wärst du in zweierlei Hinsicht gescheitert: In der Beziehung und beim Versuch, dein Kind in einer „heilen Familie“ aufwachsen zu lassen. Denn das ist es doch, was Kinder „brauchen“, nicht? „Kinder brauchen beide Elternteile“ hört man dann.

Bezugspersonen müssen kein Liebespaar sein

So pauschal kann man das aber gar nicht sagen. Kinder brauchen stabile, zugewandte und authentische Bezugspersonen. Ja. Dass diese zwingend verheiratet sein oder im gleichen Haushalt leben müssen, ist nicht in Stein gemeißelt. Und ob es gut ist, wenn diese beiden Bezugspersonen „wegen der Kinder“ zusammenbleiben, dafür aber unglücklich sind, viele Konflikte austragen und diese Kinder in einer angespannten Familiendynamik aufwachsen, darf auch gern kritisch hinterfragt werden. Eine Trennung muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass das Kind eine Bezugsperson verliert. Die Beziehung zum Kind liegt dann aber auch zu einem sehr großen Teil in der Verantwortung des anderen Elternteils. Eine Trennung, Scheidung und auch der Tod eines Elternteils stellen kein vernichtendes Schicksal für die Zukunft und das Glück deines Kindes dar. Es kommt maßgeblich darauf an, wie ihr danach mit diesen Ereignissen umgeht.

Eine Trennung betrifft euch alle

Egal wie wir es drehen und wenden, eine Trennung mit Kind ist eine Herausforderung. Eine sehr große Herausforderung, die an keinem von euch leichtfertig vorbeigeht und die ihre Spuren hinterlassen wird. Das schlechte Gewissen in einer Trennungssituation kommt  nicht von ungefähr. Die Entscheidung (gleichgültig wer sie trifft) hat unmittelbare, dramatische Auswirkungen auf euch und, was noch wichtiger ist, auf euer Kind. Und obwohl du für das Ende einer Partnerschaft/Ehe niemals allein die Verantwortung trägst – dazu gehören immer zwei – fühlt es sich zeitweise so an. Vor allem wenn du diejenige bist, die die Beziehung beendet (hat). Dein schlechtes Gewissen macht dich in diesem Fall also dafür sensibel, dass andere Menschen von deiner Entscheidung betroffen sind und du dementsprechend achtsam damit umgehen musst. Akzeptiere erstmal diese Signalfunktion und lass dich von ihr motivieren, jetzt die richtigen Stellschrauben zu drehen, damit du und dein Kind diesen Übergang gut meistern könnt.

Authentisch bleiben nach der Trennung

Wir können hier kein Bild davon malen, dass danach alles rosig und einfach wird. Es ist ein mühsamer Prozess, Eltern zu bleiben, wenn man sich als Paar getrennt hat. Organisatorisch ist es eine Mammutaufgabe und der emotionale Druck, jeden Schaden vom Kind fernzuhalten und Verluste auszugleichen, bringt dich an deine Belastungsgrenze. Das ist kein Sonntagsspaziergang.
Gleichzeitig bietet jede Herausforderung eine Chance. Nicht nur für dich als Mutter, sondern auch für dein Kind. Es wird daraus Bewältigungskraft schöpfen und fürs Leben lernen. Ein Leben, welches ihnen voraussichtlich auch einmal vergleichbare Aufgaben stellen wird. Du, als authentische Mutter, wirst ihnen zeigen können, wie man für sein Glück, seine Grenzen und seine Bedürfnisse einsteht. Wie man mit Schmerz und Verlust umgeht. Wie man Konflikte löst, neue Regelungen ausverhandelt und sich zuverlässig an Absprachen hält. (Tut dies der andere Elternteil im Zuge der Trennung nicht, ist das nicht deine Verantwortung.)

Fragt man erwachsene Trennungskinder, was sie an der Scheidung ihrer Eltern am meisten belastet hat, war es meist nicht die Trennung selbst. Es waren die Streits, in die sie verwickelt wurden, die Loyalitätskonflikte, in die sie hineingezogen wurden. Kommt es zwischen deinem Partner und dir zur Trennung, schützt und entlastet ihr euer Kind, wenn ihr euch darauf konzentriert, auf der Elternebene zu funktionieren und einen respektvollen Umgang zu pflegen. Das ist weit sinnvoller, als dich von deiner inneren Kritikerin niedermachen zu lassen, weil du „gescheitert“ bist, „nicht gut genug“ warst“ oder „aufgegeben“ hast. Weil du „egoistisch warst“ oder noch mehr hättest aushalten müssen. Hättest du nicht. Davon hat niemand was, erst recht nicht dein Kind. Gedankenkarussell der Schuldgefühle stoppen, Blick nach vorne richten, das ist der Weg für dich und dein Kind.


Folgende Übungen können dir dabei helfen:

„Liebes, ich trenne mich.“ – Übungen

Du machst dir schwerwiegende Entscheidungen nicht leicht, überlegst hin und her, quälst dich durch schlaflose Nächte, lässt dich beraten, führst Pro-und-Contra-Listen und nimmst dir viel Zeit. So war es sicher auch, bevor du dich letzten Endes für eine Trennung von deinem Partner entschieden hast. In der Hektik des Alltags passiert es dir aber vielleicht, dass du vergisst, wie schwer du dir diese Entscheidung gemacht hast und an welchen Dingen du sie festgemacht hast. Meist kommen auch noch Informationen oder Auswirkungen hinzu, die du unmöglich hast absehen können, die dir jetzt aber ein schlechtes Gewissen bereiten. Wir möchten dir für solche Fälle zwei Übungen (für allerlei Entscheidungen anwendbar) mitgeben:

1. Briefe an dein zukünftiges Ich

Bist du gerade dabei, eine schwierige Entscheidung zu treffen oder hast gerade eine getroffen, schreibe deinem zukünftigen Ich einen Brief. Erkläre darin, wieso du dich so entscheidest, welche Gründe, Gefühle, Erlebnisse und Situationen dich zu dieser Entscheidung gebracht haben. Schreibe auf, was du unternommen hast, um diesen Punkt vielleicht sogar noch abzuwenden. Zeige deinem älteren Ich, wie viele Gedanken du dir gemacht hast und dass du diese Entscheidung nicht leichtfertig triffst. Plagen dich in deiner eigene Zukunft Schuldgefühle, weil es sich anders entwickelt hat, als du erwartet hast, hole den Brief hervor und sei gnädig mit deiner jüngeren Ich.

2. Versöhnung mit dem vergangenen Ich

Die Entscheidung ist schon eine Weile her und deine innere Kritikerin plagt dich, weil du dies oder jenes nicht hast kommen sehen? Nimm dir einen ruhigen Moment und denke wohlwollend an die jüngere Frau (und wenn sie nur wenige Monate jünger ist), die diese Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen für dich und euch getroffen hat. Sie hatte keine magische Kristallkugel, die Zukunft war ihr ungewiss. Du weißt genau, dass du damals versucht hast, alle Eventualitäten abzuwägen, es ist und bleibt aber unmöglich alles vorauszusehen. Erinnere dich daran, warum und mit welchen Informationen du damals diese Entscheidung getroffen hast. „Im Nachhinein ist man immer schlauer“ sagt der Volksmund und hat Recht. Es ist leicht, mit dem Wissen der Gegenwart Entscheidungen der Vergangenheit zu be- oder verurteilen. Und selbst dann ist es nur eine Vermutung, wie sich alles entwickelt hätte. Wirklich sicher könntest du nur sein, wenn du in der Zeit zurückreisen könntest und dann zwei Lebenswege miteinander vergleichen könntest. Geht nicht – zumindest noch nicht. Dein Urteil tut deinem jüngeren Ich also unrecht. Tu dir einen Gefallen, versöhne dich mit deiner Entscheidung, deinem jüngeren Ich und mit dir selbst.


Du möchtest noch mehr darüber erfahren, wie eine Trennung ohne zu viele Schuldgefühle über die Bühne gehen kann? Dann verpasse nicht unseren Folge-Artikel „Gemeinsame Elternschaft nach Trennung“ oder den Gastbeitrag von Inke Hummel zum Thema „Wie spreche ich mit meinem Kind über Trennung?“ – coming soon.

Mehr zum Thema „schlechtes Gewissen“ findest du außerdem in unserem Buch „Täglich grüßt das Schuldgefühl“

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