Ein Plädoyer für Selbstfürsorge

Ein Plädoyer für Selbstfürsorge

Der Dezember lädt traditionell zum Blick auf die vergangenen elf Monate ein und dazu, Vorsätze fürs neue Jahr zu fassen. 2021 fällt mir persönlich das so schwer wie nie. Weil trotz all meiner Routinen, trotz me-time und Selbstfürsorge die Akkus einfach leer sind. Geht’s euch auch so? Aktuell ist vieles scheiße, einer Menge Menschen geht es mit der aktuellen Situation gar nicht gut. Das ist die Realität. Margarete Stokowski schrieb dazu in ihrer SPIEGEL-Kolumne: „Wir brauchen in der vierten Welle keine Selfcare-Tipps mehr. Wir brauchen nur einfach endlich eine bessere Coronapolitik.“ Ist Selbstfürsorge also nutzlos in diesen Zeiten?

Leben im Ausnahmezustand

Man muss niemandem mehr erklären, in welchem Ausnahmezustand wir seit Anfang 2020 leben. Gerade Familien stehen unter einem enormen Druck und Eltern sind häufig am Ende ihrer Kräfte. Das liegt momentan nicht in erster Linie an fehlender Selbstfürsorge, sondern an den Umständen. Ciani-Sophia Hoeder schreibt dazu in ihrem Buch „Wut und böse“ zu den belastenden Folgen der Pandemie Folgendes:

„Galligher [Arianna Galligher, stellvertretende Direktorin des Stress, Trauma und Resilience (STAR) Program der Ohio State University] vergleicht die Pandemie mit anderen chronischen, schweren Stressoren ohne offensichtlichen Endpunkt. Somit ist die Pandemie eher vergleichbar mit Langzeitkonflikten wie Kriegen, Vertreibung und Flüchtlingslagern oder kontinuierlichen Mikrogagressionen.“

Mein Therapeut sprach zuletzt davon, dass zahlreiche Menschen gerade chronisch erschöpft sind – weil die Lage keine Pausen mehr erlaubt.

Toxische Positivität

In diesen Zeiten immer noch jeden Tag „das Beste daraus zu machen“, „auch mal die Vorteile zu sehen“ oder „optimistisch zu bleiben“ fällt den meisten schwer – und ist auch nicht zwingend nötig. Es ist okay, wenn man sich nach knapp zwei Jahren Pandemie nicht gut fühlt und das auch sagt! Darüber zu sprechen kann sogar helfen. Denn wenn wir uns zwingen, immer gut gelaunt und optimistisch zu sein, auf die Frage nach unserem Befinden immer lächeln und „gut“ oder „muss ja“ zu antworten, hat niemand was davon. Man bezeichnet das auch als „toxische Positivität“. Denn Gefühle wie Wut, Angst, Sorgen und Trauer suchen sich ihren Weg, auch wenn wir versuchen sie zu unterdrücken. Ein gesunder Umgang damit ist, sie zuzulassen und ihnen Raum zu geben – ohne das Leben völlig davon beherrschen zu lassen. Keine einfache Aufgabe, aber besser als ein erzwungenes Dauerlächeln.

Warum Selbstfürsorge trotzdem wichtig ist

Ich stimme Margarete Stokowski zu, dass es nicht sein kann, dass die Bevölkerung in vielem so allein gelassen ist. Dass es andere Wege geben muss, als reine Selbstverantwortung – weil diese Last der oder die Einzelne nicht tragen kann! Sie schreibt von Selbstfürsorge als „notwendige[r], aber nicht hinreichende[r]Bedingung für ein gutes Leben.“ Dennoch und gerade deshalb ist Selbstfürsorge in der Krise eben nicht überflüssig, sondern extrem wichtig!

Selbstfürsorge ist nämlich weit mehr als Yoga, Wellness, der Kaffee am Morgen & Co., die gerade unter dem englischen Begriff „Selfcare“ immer wieder als Lösung aller Probleme propagiert werden. Sondern sie ist eine Lebenseinstellung, eine Haltung, die dich an die erste Stelle stellt, die deinen Bedürfnissen Priorität einräumt. Auch als Mutter! Kein Kind hat etwas davon, wenn seine Mama sich völlig verausgabt und überhaupt nicht mehr auf sich schaut. Sie ist eine Haltung, die dich im besten Fall ein Leben lang begleitet, in guten wie in schlechten Zeiten.

Dazu gehört auch Selbstliebe. Das heißt, sich selbst anzunehmen und wertzuschätzen, die eigenen Grenzen zu akzeptieren, sich Pausen zu gönnen, und auch die negativen Gefühle zuzulassen und zu umarmen. Und sich eben nicht zu zwingen, immer gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

Die Selbstfürsorge jetzt aufzugeben, ist also nicht die Lösung!

Yvonne Bormann, die Geschäftsführerin des Müttergenesungswerks, sagt dazu in einem Artikel im ZEIT Magazin (26.11. „Die Mütter sind kränker, ihre Erschöpfung tiefer“):

„Viele der Frauen verschieben jetzt wieder die Selbstfürsorge auf später. Das ist gesundheitlich brisant. Wir beobachten, dass die Mütter, wenn sie die Kur in einem unserer Häuser antreten, in körperlich und psychisch schlechterer Verfassung sind. Sie sind kränker, ihre Erschöpfung ist tiefer, die Störungsbilder sind verstärkter.“  (verlinken)

Deshalb meine Bitte: Verschiebt sie nicht auf später! Achtet auf euch und sucht euch Hilfe, wenn ihr merkt, dass das nicht mehr möglich ist!


Buchtipps zum Thema:


Svenja Gräfen „Radikale Selbstfürsorge“

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