Interview mit Barbara
DISCLAIMER
Wenn es dir gerade sehr schlecht geht und dich Berichte aus der akuten Phase einer Wochenbettdepression triggern könnten, dann lies dieses Interview nicht oder zumindest nicht allein. Wenn dich bei oder nach der Lektüre negative Gefühle überschwemmen, sprich mit jemandem Vertrauten oder hol dir professionelle Unterstützung. Auf unserer Hilfe-Seite findest du Ansprechpartner und auch Notfall-Telefonnummern.
Hallo Barbara,
wir sprechen heute, weil du nach der Geburt deiner Tochter eine Wochenbettdepression hattest. Wir möchten unseren Leser*innen gerne zeigen, wie so etwas aussehen kann, und vor allem, wie andere es geschafft haben, wieder gesund zu werden. Deshalb die Frage an dich: Wie hat sich das angefühlt?
„Die erste Zeit mit Baby war eine ständige Überforderung. Man weiß ja wirklich nicht, wie man mit so einem kleinen Wesen umgehen muss, hat ständig Angst, etwas kaputtzumachen. Jeder Gang aus dem Haus bedarf langer Vorbereitung. Ich hatte niemanden, der mir zeigen konnte, wie das alles geht. Schon in der Klinik war ich alleine mit meiner hungrigen Tochter, das Personal war so unterbesetzt, niemand konnte mir erklären, wie ich sie richtig anlege. Dieses Gefühl, allein zu sein und nicht zu wissen, was ich tun soll, ist mir stark in Erinnerung geblieben. Irgendwann habe ich mich nicht mehr allein mit ihr aus dem Haus getraut.“
Hattest du in dieser Zeit Hilfe?
„Das war etwas schwierig. Mein Mann musste arbeiten, meine Freundinnen auch. Die Großeltern waren zu alt oder zu krank, um vorbeizukommen. Diese fehlende Unterstützung, das war schlimm. Zu wissen, ich bin jetzt ganz allein mit meiner Tochter, den ganzen Tag. Das ging eigentlich schon in der Schwangerschaft los. Ich hatte Beschäftigungsverbot und keine Freundinnen, die ebenfalls schwanger waren und mir so hätten Gesellschaft leisten können. Ich hatte einfach viel zu viel Zeit zum Grübeln. Und so geht es ja heutzutage immer mehr Frauen. Da muss man schon aktiv Netzwerke schaffen und oft auch auf professionelle Hilfe zurückgreifen. Ich habe mehrere Angebote genutzt, nebenan.de und Welcome, ein regionales Hilfsprojekt für Mütter im ersten Babyjahr.“
Du hast also aktiv Hilfe gesucht? Das war sicher auch eine Überwindung?
„Ja, auch wenn das Kraft gekostet hat. Als es nicht mehr ging, habe ich meinen langjährigen Freundinnen Bescheid gegeben, wie es mir geht und auch um Hilfe gebeten. Leider wohnen sie alle ziemlich weit weg. Aber eine von ihnen hat einer anderen Freundin davon erzählt, die in der gleichen Stadt wohnt wie ich, an die ich aber nicht gedacht hatte. Die kam dann vorbei, hat mir etwas zu Essen gebracht und war einfach da. Das war für den Moment wahnsinnig hilfreich. Ab einem gewissen Punkt hätte ich dann eigentlich eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung gebraucht. Meine Schwiegermutter war zwar immer mal wieder da, aber sie konnte eben nicht permanent. Und ihre Besuche haben mir wiederum Mühe und Kraft gekostet, weil wir nicht so vertraut miteinander sind. Aber ich wollte einfach nicht mehr alleine sein. “
Und wann hast du gemerkt, dass auch diese Unterstützung nicht mehr ausreicht?
„Mir ist eine Situation sehr gut im Gedächtnis geblieben. Ich saß auf dem Sofa, stundenlang, und schaute mir den Baum vor unserem Fenster an. Meine Tochter lang in meinen Armen. Ich saß und schaute. Und irgendwann dachte ich: Dieses Leben will ich so nicht haben und ich kann das auch meinem Kind nicht antun. Ich weinte und weinte. Dann habe ich den Hörer in die Hand genommen und in der Klinik angerufen. Es hat „Klick“ gemacht und ich wusste: Ich brauche jetzt professionelle Hilfe.“
Du warst dann für einige Wochen in einer speziellen Mutter-Kind-Tagesklinik, die es frischgebackenen Müttern ermöglicht, tagsüber gemeinsam mit dem Baby intensiv betreut zu werden. In einer Gruppe mit anderen betroffenen Frauen. Wie war das?
„Ich hatte wahnsinnige Angst vor der Klinik. Was würde mich erwarten? Gibt es Rückzugsorte? Ich wäre fast nicht hingegangen. Aber vor Ort wurde ich von den anderen Patientinnen so warmherzig empfangen. Niemand hat blöde Kommentare gemacht. In den Gesprächsrunden durfte ich erst einmal nur dabei sein, ankommen. Es gab keinen Druck. Das hat so gut getan und ich habe mich sofort wohlgefühlt. Jede Mutter hatte ihr eigenes Thema, ihr eigenes Päckchen. Aber wir alle wussten: Wir sind nicht allein. Und mir hat auch geholfen zu wissen, dass ich freiwillig vor Ort bin – und jederzeit gehen kann. Was ich dann allerdings nie wollte. “
Und was wurde dort konkret gemacht? Wie hat dir die Zeit dort geholfen?
„Die Klinik hat mir mit auf drei Arten geholfen: Zuerst die Medikamente. Die waren essenziell, um auf die Beine zu kommen. Ich hatte große Angst davor, Tabletten einzunehmen, und meine Tochter über die Muttermilch „zu vergiften“. Im Nachhinein ein absurder Gedanke. Aber ich wurde ihn nicht los. Die Ärztin hat mir Stück für Stück die Ängste genommen, mir von Studien dazu erzählt, bei denen nichts in der Muttermilch nachweisbar war. Irgendwann konnte ich mich darauf einlassen – und die Medikamente haben dann sehr schnell angeschlagen. Dann war auch diese irrationale Angst Geschichte.
Zweitens die Struktur. Vorher saß ich ja nur zu Hause, jeder Tag war wie der andere, ich habe mich nicht aus dem Haus getraut – aber ich musste ja auch nicht raus. In der Klink gab es feste Abläufe, ich musste morgens aufstehen. Das war enorm hilfreich. Es gab Einzeltherapie, Gruppengespräche, Kunsttherapie, wir haben gemeinsam Yoga gemacht aber auch Ausflüge ins Schwimmbad zum Beispiel.
Und drittens war die Gesellschaft anderer Betroffener Mütter, der Austausch und das gegenseitige Verständnis, etwas, das mir enorm durch diese Zeit geholfen hat.“
Wie geht es dir heute?
„Viel besser! Die Medikamente haben mich aus dem ersten, schweren Tief herausgeholt, die Zeit in der Klinik hat mich stabilisiert. Dass ich immer noch einmal im Monat mit der Therapeutin aus der Klinik sprechen kann, gibt mir am meisten Halt. Wenn ich zu sehr grüble und bestimmte Themen wieder hochkommen, weiß ich, ich kann sie parken, bis zum nächsten Gespräch. Dort gehen wir sie dann gemeinsam an. Die negativen Gedankenspiralen kann ich deshalb mittlerweile sehr gut durchbrechen.“
Im Rückblick: Was hättest du dir noch gewünscht in dieser Zeit?
„Es hätte mir enorm geholfen, zu wissen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt. Schon in der Schwangerschaft. Das letzte Trimester war schon schwierig für mich, voller Ängste. Hätte ich in dieser Zeit Hilfe bekommen, wäre ich vielleicht nicht so schwer in die postpartale Depression gerutscht. Deshalb mache ich jetzt auch eine Weiterbildung in emotioneller erster Hilfe, um Frauen, die in einer ähnlich schweren Situation sind, helfen zu können. Und ich spreche über das Thema, damit es anderen Müttern nicht so geht, wie es mir ging.“
Vielen Dank, Barbara, dass du uns dieses Vertrauen entgegenbringst und so offen von dieser Zeit erzählst. Wir sind sicher, das gibt anderen Müttern Kraft. Wir wünschen dir alles Gute!